EU-Kommissar Dan Jørgensen: Leistbares Wohnen stärkt Demokratie

Wien startet die Europa-Tour zum neuen EU-Plan für leistbaren Wohnraum
von office@era.at – 19. Dec 2025

Wien war die erste Station der Europa-Tour von EU-Kommissar Dan Jørgensen, der in der Europäischen Kommission für Energie und Wohnungswesen zuständig ist. Im Wiener Rathaus empfing Bürgermeister Michael Ludwig den Kommissar zu einem Arbeitsgespräch über den neuen europäischen Plan für leistbares Wohnen. Dieser Plan wurde am Dienstag, dem 16. Dezember 2025, im Europäischen Parlament präsentiert und diskutiert. Danach stellten sich Ludwig und Jørgensen bei einem Medientermin den Fragen der Presse.

Michael Ludwig betonte, dass bereits die Einrichtung eines eigenen Ressorts zeige, wie hoch das Thema Wohnen inzwischen auf EU-Ebene priorisiert werde. Leistbares Wohnen sei zu einer zentralen Zukunftsfrage geworden – vor allem für die Millionen Menschen, die in europäischen Städten leben. Angesichts stark steigender Mieten und Immobilienpreise könne Europa diese Entwicklung nicht einfach hinnehmen. Gleichzeitig verwies Ludwig auf die angespannte finanzielle Lage in vielen Ländern und sprach sich dennoch für ein klares politisches Bekenntnis zum leistbaren Wohnen aus. Wien investiere im kommenden Jahr 190 Millionen Euro in leistbaren Wohnraum – eine Maßnahme, die nicht nur wirtschaftlich sinnvoll sei, sondern auch den sozialen Zusammenhalt und damit die demokratische Stabilität stärke. Den europäischen Plan von Jørgensen bezeichnete Ludwig ausdrücklich als „Meilenstein“.

Auch Dan Jørgensen unterstrich die Dringlichkeit gemeinsamer europäischer Antworten auf die Wohnungskrise. Millionen Menschen seien betroffen, daher müsse Europa Verantwortung übernehmen und entschlossen handeln. Wohnen sei ein Grundrecht, sagte der Kommissar, und es gelte, alle verfügbaren Mittel zu mobilisieren, damit Menschen in Europa angemessen wohnen können. Der Plan setze auf europäische Lösungsansätze, die die unterschiedlichen Wohnungsmärkte in der EU berücksichtigen. Besonders wichtig sei der Austausch zwischen den Mitgliedstaaten und das Lernen voneinander. Dass er nur drei Tage nach der Präsentation des Plans nach Wien gekommen sei, sei kein Zufall: Wien zeige, wie Wohnungspolitik sozialen Zusammenhalt fördert – und könne anderen Städten und Regionen als Vorbild dienen.

Der europäische Plan umfasst zahlreiche Maßnahmen, um den Bau- und Renovierungssektor produktiver und innovativer zu machen und das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu verringern. Vorgesehen sind unter anderem eine Europäische Strategie für den Wohnungsbau sowie überarbeitete EU-Beihilfevorschriften, die es Mitgliedstaaten erleichtern sollen, bezahlbaren und sozialen Wohnraum zu fördern. Zusätzlich will die Kommission gemeinsam mit nationalen, regionalen und lokalen Behörden Verfahren vereinfachen, die das Wohnungsangebot bremsen – insbesondere in den Bereichen Planung und Genehmigung. Eine neue Gesetzgebungsinitiative zu Kurzzeitmieten soll zudem Regionen mit besonders großer Wohnungsnot unterstützen.

Laut Einschätzung der Europäischen Kommission hält das Wohnungsangebot vielerorts nicht mit der Nachfrage Schritt, vor allem in urbanen Zentren. Um die Lücke in den nächsten zehn Jahren zu schließen, müssten EU-weit zusätzlich rund 650.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden – zusätzlich zu den derzeit etwa 1,6 Millionen jährlich entstehenden Einheiten. Diese zusätzlichen Wohnungen würden mit ungefähr 150 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen. Mehr Angebot soll nicht nur durch Neubau entstehen, sondern auch durch Umwidmung bestehender Gebäude, den Ausbau von leistbarem Wohnraum sowie Renovierungen des Wohnungsbestands. Der Plan setzt dabei auf moderne Baumethoden, mehr Kreislaufwirtschaft, digitale Prozesse, eine leichtere grenzüberschreitende Erbringung von Baudienstleistungen und bessere Zugänge zu qualifizierten Fachkräften.

Parallel dazu strebt die Kommission einen deutlichen Bürokratieabbau an – sowohl durch ein EU-weites Vereinfachungspaket als auch durch Kooperation mit Mitgliedstaaten, Regionen und Städten. Ziel ist es, Bauvorschriften sowie Verwaltungsverfahren rund um Flächenwidmung, Planung und Genehmigung zu entschlacken und die Verwaltungskapazitäten zu stärken.

Als positives Beispiel in Europa wurde Wien mehrfach hervorgehoben. Die Stadt blickt auf mehr als 100 Jahre Tradition im sozialen Wohnbau zurück und verfügt über rund 220.000 Gemeindewohnungen sowie etwa 200.000 geförderte Wohnungen – eine in Europa einzigartige Struktur, die soziale Sicherheit und hohe Lebensqualität sichern soll. Auch Wiens Vorgehen gegen touristische Kurzzeitvermietungen gilt als Modell: Seit Juli 2024 dürfen Wohnungen in Wien maximal 90 Tage pro Jahr touristisch vermietet werden.

Seit 2019 gibt es in Wien zudem die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“: Werden Flächen in Wohngebiet umgewandelt, müssen zwei Drittel für gefördertes Wohnen vorgesehen werden, um Spekulation entgegenzuwirken. Die Stadt Wien ist im Grundbuch der errichteten Wohnungen eingetragen und muss einem Verkauf zustimmen. Kommt es dennoch zu einem Verkauf, soll dieser so gestaltet sein, dass kein Spekulationsgewinn möglich ist.

Weitere Wiener Beispiele, die als Best Practices genannt wurden, sind die digitale Baueinreichung im EU-geförderten Projekt BRISE, duale Ausbildungsmodelle und Lehrwerkstätten in der Bauwirtschaft sowie gezielte Maßnahmen, um mehr Frauen für technische Berufe zu gewinnen.

Der Hintergrund des Plans: Die Bewältigung der europäischen Wohnungskrise zählt zu den Prioritäten in den politischen Leitlinien von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit der Ernennung des ersten EU-Kommissars für Wohnungswesen im Dezember 2024 übernahm die EU mehr Verantwortung in diesem Feld. Ziel ist es, Mitgliedstaaten sowie regionale und lokale Gebietskörperschaften bei konkreten Lösungen zu unterstützen. Die Verpflichtung, Wohnen erschwinglicher und nachhaltiger zu machen, wurde auch in der Rede zur Lage der Union 2025 bekräftigt. Im Oktober 2025 forderte der Europäische Rat die Kommission zudem auf, einen ambitionierten Plan vorzulegen, der Subsidiarität und nationale Zuständigkeiten respektiert – gefolgt von entsprechenden Schlussfolgerungen im Dezember 2025. Auch das Europäische Parlament war über den HOUS-Ausschuss eng eingebunden.